„Es geht darum, sensibler zu werden und genauer hinzuschauen. Es geht um diejenigen, mit denen wir im Kontakt sind und auch um uns. Wir müssen wissen, wie wir unser Miteinander gestalten und wie wir besonders in der Kirchenleitung im Kontakt mit Menschen agieren“, sagt Stefan Krüger. Der Kirchenkreisjugendwart des Ev.-luth. Kirchenkreises Hittfeld gibt gemeinsam mit Pastor i.R. Ulrich Hahn Schulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt im Kirchenkreis Hittfeld. Beide sind dafür nach den Standards der hannoverschen Landeskirche als Multiplikatoren ausgebildet worden. 19 Teilnehmende aus der Nachbarschaft Buchholz und dem Kirchenkreis Hittfeld nehmen an diesem Tag im Paulus-Haus in Buchholz an der Schulung teil. Denn: Diese Schulung ist verpflichtend. „Unser Ziel ist ein offenerer Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt, dafür können wir gar nicht genug Menschen schulen. Es geht um eine Kultur der Achtsamkeit und eine Haltung, die individuelle Grenzen wahrnimmt, die wir damit neu einpflegen. Und wir erreichen auch Personen, die gefährdet sein können“, sagt Ulrich Hahn.
Nach den Ergebnissen der unabhängigen wissenschaftlichen ForuM-Studie vom Januar dieses Jahres zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche hat die Landeskirche Hannovers Maßnahmen für Mitarbeitende, Kirchengemeinden und Kirchenkreise beschlossen. Bis Ende 2025 müssen alle ehrenamtlich und beruflich Mitarbeitenden in der praktischen Arbeit mit Schutzbefohlenen und diejenigen, die in Gemeinden und Einrichtungen eine leitende Funktion innehaben, verpflichtend an einer Grundschulung zur Sensibilisierung und Prävention im Bereich sexualisierte Gewalt teilnehmen. „Das werden wir schon Ende 2024 erreicht haben“, sagt Stefan Krüger. Auch ehrenamtlich Mitarbeitende, die nicht zu diesem Kreis zählen, müssen eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen. „Wir schärfen damit das Bewusstsein für Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt“, sagt Stefan Krüger. Zum anderen müssen sich bis Ende 2024 alle Kirchenkreise sowie jede Einrichtung und jede Kirchengemeinde ein eigenes Schutzkonzept geben, das örtliche Gefährdungspotenziale analysiert und berücksichtigt.
Nach Zahlen polizeilicher Kriminalstatistik, Fakten und rechtlichem Rahmen diskutieren die Teilnehmenden Fallbespiele und entscheiden, ob es sich um eine Grenzverletzung, einen sexuellen Übergriff oder eine Straftat handelt. „Situationen sind oft nicht eindeutig, daher ist es wichtig, selbst eine Vertrauensperson hinzuzuziehen und darüber zu sprechen“, sagt Stefan Krüger. Fallbetrachtungen helfen Kirchengemeinden, Schutzkonzepte zu erstellen. Diese Arbeit beginnt jetzt in den Gemeinden.
Wie gehen Täterinnen und Täter vor, wie suchen sie sich gezielt Kinder, Jugendliche oder Erwachsene heraus? „Es ist nie eine zufällige Tat. Täterinnen und Täter haben eine Strategie, wie sie sich der Person nähern“, sagt Ulli Hahn. Für den Fall, dass sich eine betroffene Person anvertraut und Hilfe sucht, gibt es Handlungsschritte, die einzuhalten sind. „Diese Schritte sind bei uns eindeutig im Schutzkonzept des Kirchenkreises geregelt“, sagt Stefan Krüger. Sehr wichtig ist es, dabei immer im Einvernehmen mit der betroffenen Person zu handeln.
„Die Schulung hat mich darin gestärkt, mir eine Vertrauensperson hinzuzuholen, wenn ich mir bei einer Wahrnehmung unsicher bin. Ich will niemanden in eine Ecke drängen. Emotionen und Nähe sind doch etwas Natürliches und Schönes, nicht immer ist dahinter gleich ein Missbrauch zu vermuten“, sagt Anke Lindemann-Wedel aus Hollenstedt. „Es gibt nicht nur sexualisierte Gewalt von Erwachsenen an Kindern und Jugendlichen, sondern auch unter Erwachsenen oder unter Kindern. Ich will genauer hinschauen und sensibler sein“, sagt Ute Stauss aus Buchholz. „Ein vielschichtiges Thema, das sicher nicht nur einer Schulung bedarf. Ich habe das Gefühl, sensibler draufschauen zu können und kenne die Schritte, die ich dann gehen müsste“, sagt Katrin Krüger aus Buchholz. Mehrere Teilnehmende äußern den Wunsch, tiefer ins Thema einzusteigen, an Fallbeispielen weiterzuarbeiten und regelmäßig Schulungen und Follow-up-Seminare zu erhalten. Es sei zudem gut, dass es in beiden Kirchenkreisen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner gibt.
„Schulungen sind „Bremsen“ im System, die möglichen Täterinnen und Tätern den Zugang erschweren. Und mit Schutzkonzepten schrauben wir diese Grenzen hoch“, sagt Stefan Krüger.
Im Kirchenkreis Hittfeld haben bislang in neun Schulungen 130 Personen teilgenommen. Im Bereich der Evangelischen Jugend sind seit 2019 Präventionsschulungen „Kindeswohlgefährdung“ bei jeder Freizeitmaßnahme der Ev. Jugend für die Teamenden verpflichtend. Seit Frühjahr 2023 ist die Präventionsschulung sexualisierte Gewalt Bestandteil der JuleiCa-Schulungen (Jugendleiter-Ausbildung). In diesem Jahr wurden in vier JuleiCa-Kursen 98 Teilnehmende geschult.
„Wir wollen Schutzbefohlene und Mitarbeitende vor sexualisierter und jeder anderen Form von Gewalt schützen. Für uns gibt es keine Toleranz bei Grenzverletzungen, die Transparenz bei der Aufarbeitung ist uns wichtig. Wir übernehmen Verantwortung und tun alles dafür, bestmöglichen Schutz vor sexualisierter Gewalt zu gewährleisten“, sagt Superintendent Dirk Jäger.
Info-Block:
Schulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt werden über die Internetseite www.hinschauen-helfen-handeln.de im gesamten Bereich der Ev. Landeskirche Hannovers angeboten.
Das Schutzkonzept des Kirchenkreises Hittfeld mit dem Titel „Auf Grenzen achten – sicheren Ort geben“ ist auf unserer Internetseite unter dem Reiter "Rat & Tat" zu finden oder per direktem Klick hier.